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Blutrote Schwingen

Die
Lichtburg
Chroniken
I

Prolog

Das Spiel der Götter

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​

 

Gulos

350 nV

Zambaroth,

eine zwielichtige und damit interessante Taverne am Rand des Schattens

 

 

»Ach, ich liebe die Menschen!«, rief Gulos und zog ein Mädchen auf seinen Schoß, das gerade an ihm vorbeilief. Sie kreischte und kicherte, befreite sich aber wieder aus seiner Umarmung und ging mit schwingender Hüfte davon.

Superbios verdrehte die Augen. »Bitte, Gulos, du erregst viel zu viel Aufmerksamkeit.«

Gulos lachte schallend und winkte dem Kellner, um ein weiteres Waldbier zu bestellen. »Mein Freund, du bist zu verklemmt. Komm zur Abwechslung einmal von deinem hohen Ross herunter und gönne dir die einfachen Freuden des Volkes.«

»Welches Volkes?«, fragte Superbios zynisch.

Jetzt war es Gulos, der die Augen verdrehte. »Es ist immer dieselbe Leier mit dir. Alle Menschen wollen das Gleiche, egal ob sie dem Volk der Erde, des Feuers, des Wassers oder sogar dem deiner Lieblinge, dem Volk des Himmels, angehören: essen, saufen und Liebe. Ich habe noch nie jemanden getroffen, bei dem dies nicht der Fall war.«

Der Kellner stellte einen Krug Waldbier ab und verschwand wieder. Gulos nahm einen großen Schluck daraus. Das Getränk schmeckte kühl und herb. Sein Duft überspielte den Gestank von Schweiß und Unrat, der in der Taverne vorherrschte.

Superbios stieß ein Lachen aus. »Dann bin ich wohl die Ausnahme.«

Gulos schüttelte den Kopf. »Nein, mein Lieber. Nur haben du und alle der Unseren ihre menschlichen Bedürfnisse schon vor langer, langer Zeit abgelegt.« Er nahm noch einen tiefen Schluck und rülpste. »Deswegen seid ihr alle auch so sterbenslangweilig. Und deswegen liebe ich die Menschen. Sie wissen sich zu amüsieren.«

Superbios rümpfte die Nase. »Nun, ich würde sagen, das ist eine Frage der Perspektive.«

»Reizt dich so was denn gar nicht?« Gulos nickte in Richtung einer tanzenden Wasserfrau. Ihre Haut schillerte samtig und ihre Kurven waren genau an den richtigen Stellen.

»Was sollte es mir bringen, wenn ich sie für heute Nacht gewinne?«, fragte sein Freund, ohne die Frau auch nur anzusehen.

»Spaß?«

»Bitte.« Superbios schnaubte.

»Siehst du, das meine ich. Langweilig. Du und die anderen, ihr seid so damit beschäftigt, die Fäden in der Hand zu halten und eure kleinen Spielchen zu spielen, ihr vergesst das wahre Leben darüber.« Gulos beobachtete die Tänzerin weiter.

Superbios nippte an seinem Krug und verzog das Gesicht.

Der Kellner kam wieder zu ihnen. Er wischte sich die Hände an der fleckigen Schürze ab, dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Na, kann ich euch zu einer Suppe verführen?«

»O ja, bitte verführe mich«, säuselte Gulos und sah dem Mann dabei tief in die Augen. Leider reagierte er nicht darauf.

»Bitte nicht«, erwiderte Superbios.

Der Kellner nickte und verschwand.

Superbios beugte sich zu Gulos, sobald der Mann außer Hörweite war. »Du kannst nicht allen Ernstes hier etwas zu Essen bestellen?«

Gulos zuckte mit den Schultern. »Warum denn nicht? Vielleicht überrascht es mich ja. Was hattest du denn zuletzt? Kandierte Miesmuscheln?«

»Etwas, von dem ich mich nicht übergeben musste.«

»Das klingt ziemlich langweilig.«

Der Kellner brachte eine dampfende Schüssel und stellte sie vor Gulos ab. Er blinzelte dem Mann nochmals zu, doch wieder zeigte er keine Reaktion. Schade.

Gulos beugte sich über die Schüssel und roch daran. Es stank fürchterlich. Er nahm den Löffel und probierte. Die Suppe war versalzen, und trotzdem schmeckte das Fleisch fade. Na ja, einen Versuch war es wert gewesen. Gulos legte den Löffel beiseite. Dabei grinste ihn Superbios wissend an.

»Nun«, sprach sein Freund weiter, »hast du etwas von Spees gehört? Weißt du vielleicht, wo er sich zurzeit aufhält?«

Gulos dachte einen Moment nach. »Seit deinem Putsch vor einem Jahrhundert habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

»Und Sapientia?«

Ihre Kameradin blieb gern im Hintergrund. Meist tauchte sie an Stellen auf, wo niemand sie erwartet hätte. Es war schon mehrere hundert Jahre her, seit er sie zuletzt gesprochen hatte. »Du weißt, man bekommt sie selten zu Gesicht. Und wenn, kann man davon ausgehen, dass etwas bevorsteht.«

Superbios nickte. »Du hast recht. Wie sieht es mit Fidea und Temperantios aus?«

Gulos schüttelte den Kopf und trank aus seinem Krug.

»Hast du von irgendeinem unserer Freunde gehört seit unserem letzten Treffen im Auge des Waldes?«

Gulos zuckte die Schultern und schüttelte wieder den Kopf.

Superbios trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Zu schade, wirklich.«

Der Abend schritt voran. Inzwischen standen mehrere leere Krüge vor Gulos, aber aus irgendeinem Grund kam der Wirt nicht mehr zu ihnen. Ein angenehmer Schwindel hatte sich seiner bemächtigt, der Rhythmus der Trommeln wummerte durch seinen Körper und die Melodie der Fidel lullte ihn ein. Superbios’ Fragerei beantwortete er meist nur noch mit einem Lächeln und einem Nicken.

Da sah dieser Gulos auf einmal mit durchdringendem Blick an. Er rutschte seinen Hocker näher zu ihm. »Es ist sehr schön, dass wir uns nach so langer Zeit einmal wieder sprechen.«

Gulos schluckte den letzten Schluck Waldbier hinunter.

Mit leiser Stimme fuhr Superbios fort: »Du hast vorhin die einfachen Freuden des Volkes erwähnt. Vielleicht«, Gulos fühlte unter dem Tisch eine Hand auf seinem Oberschenkel, »kannst du mir einmal genauer erklären, was du damit meinst.« Er sah ihm tief in die Augen.

Gulos’ Atem beschleunigte sich.

Das waren ja ganz neue Töne. Ein eindeutiges Angebot. Es gab nicht viel, das Gulos in seinen unzähligen Leben noch nicht erlebt hatte, die Vereinigung mit einem der anderen Götter Ahrcárras gehörte aber dazu. Und der Gedanke dieses einmalige Erlebnis mit seinem Erzrivalen Superbios zu teilen, gab dem Ganzen einen ganz besonderen Reiz. Er legte seine Hand auf die von Superbios und schob sie etwas höher, so hoch, dass es interessant wurde.

Dann beugte er sich zu seinem Freund hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Sollen wir gehen?«

Superbios stand ruckartig auf und griff sich seinen Talar. Er lächelte ihm vielsagend zu, bevor er schnellen Schrittes aus dem Lokal ging. Gulos folgte ihm.

Draußen war die Sonne bereits untergegangen, nur noch wenige Menschen waren auf den Straßen unterwegs. Einige Leuchtrunen warfen ihr grünliches Licht auf die umliegenden Gebäude.

Gulos lief hinter Superbios her. Schade, dass man dank dieses unförmigen Mantels nicht viel von ihm erkennen konnte. Er wandte sich in eine dunkle Gasse, gleich hinter der Taverne. Bequem mit im Rücken überkreuzten Schwingen an eine Wand gelehnt wartete er auf ihn.

Gulos’ Herz überschlug sich vor Erregung. Er ging direkt zu ihm und wollte ihn packen, doch Superbios hielt ihn zurück.

»Gulos.« Eine Hand lag auf Gulos’ Brust, mit der anderen griff Superbios in seine Manteltasche. »Du warst schon immer am einfachsten gestrickt von uns allen.«

Superbios Augen blitzten auf. Mit einer ruckartigen Bewegung zog er einen Dolch aus der Tasche und rammte ihn in Gulos’ Bauch.

Gulos taumelte zurück. Unwillkürlich fuhren seine Hände an die Wunde. Blut sickerte zähflüssig und schwarz unter seinen Fingern hervor. Noch fühlte er keinen Schmerz, doch der würde kommen, das wusste er aus Erfahrung. »Du hast mich schon wieder erwischt!«

Superbios zuckte mit den Schwingen. »Du machst es mir auch zu einfach.«

»Superbios, was auch immer du planst, du weißt, dass ich zurückkommen werde.«

»Sicher.« Sein Freund ging auf ihn zu und packte den Dolch. »Aber bis du wieder aus den Windeln herausgewachsen bist, vergehen viele Jahre. Und in der Zwischenzeit wirst du mir keinen Strich durch die Rechnung machen können.« Er drehte den Dolch mit Schwung in der Wunde herum und zog ihn heraus.

Gulos stöhnte auf. Das Leben verließ ihn. Es strömte mit dem Blut aus der Wunde davon. Er taumelte. »Du denkst nicht ernsthaft, dass dich die anderen dieses Spiel jemals gewinnen lassen?«, presste er hervor.

Superbios wischte den Dolch an Gulos’ Kleidung ab. »Wir werden ja sehen.«

Der Schmerz schlug zu. Gulos fiel in Krämpfen zu Boden.

Superbios stand über ihm. Sein Lächeln verzog sein Gesicht zu einer Fratze. »Bis in ein paar Jahren, mein Freund.«

Dann verschwamm Gulos’ Blick und die Verbindung zwischen seinem sterblichen Körper und seiner unsterblichen Seele löste sich.

Gulos starb. Schon wieder.

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